Mauretanien
→ auch: Al Jumhouriya al-Islamiya al-Muritaniya / République Islamique de Mauritanie
1. Natur und Geographie
Der Reisende, der im Flugzeug Mauretanien überquert, löst bald den Blick vom Bild, das sich unter ihm ausbreitet. Die scheinbare Eintönigkeit in den Formen der Saharalandschaft und die Beschränkung auf die Farben Grau, Braun und Ocker, gelegentlich akzentuiert durch etwas Gelb, erzeugen Langeweile. Das ändert sich rasch, wenn der Pilot empfiehlt, sich das „Auge Afrikas“ anzuschauen. Von oben zeigen sich am Boden konzentrische, in unregelmäßigen Abständen nach außen größer werdende Kreise, die ihre Konturen verlieren. Das mit einem Durchmesser von 40 bis 45 Kilometer erscheinende Naturwunder hatte vieljährig zu Spekulationen über seine Entstehung geführt. Übrig geblieben sind die Auffassungen, dass es sich um einen Meteoriteneinschlag, erodierte Aufwölbungen der Erdoberfläche oder vulkanische Explosionen handelt. Dieses Naturphänomen hat Mauretanien berühmt gemacht.
Tatsächlich ist Mauretanien durch vier ökologische Zonen gekennzeichnet. Die lebensfeindliche Saharazone im Norden umfasst etwa zwei Drittel des Landes, das mit seiner Fläche von 1 030 700 Quadratkilometern weltweit den 28. Platz einnimmt. Sie drückt sich in scheinbar unendlichen Sanddünenfeldern und rauen Granitformationen aus.
Die Sanddünen setzen sich in der Sahelzone fort. Allerdings enthält dieser West-Ost-Gürtel auch grasbewachsene Savannen, die als Weideland für Schafe, Ziegen und Rinder der Nomaden dienen. Akazienbäume werden dankbar als Schattenspender genutzt. Von Juni bis Oktober ist Regenzeit. Da die Niederschlagsmenge nach Süden hin leicht zunimmt, ist dort auch sesshafte Landwirtschaft angesiedelt. Für die menschliche Existenz bleiben nur das nördliche Tal des Senegalflusses und die Küstenzone mit ihrer Länge von 754 Kilometern. Dort siedeln die meisten der 4,4 Millionen Einwohner (2017) des Landes. In den letzten fünf Jahren bis 2017 lag das Bevölkerungswachstum bei 2,7%. 2018 stieg es auf 2,9%. Noch im Jahr 2000 hatte eine Volkszählung 2,5 Millionen Einwohner ergeben.
Auch im Landesosten dominieren die gewaltigen Saharadünen (El Djouf), während im Westen die schroffen Sandsteinplateaus von Adrar, Tagant und Affollé bis zu 500 m aufragen. Dort sind auch die durch Erosionen gebildeten Inselberge mit ihren speziellen Charakteristiken zu sehen:
- der Kedia d’Idjil, mit 915 Metern die höchste Erhebung Mauretaniens;
- der Ben Amira, der zweitgrößte Monolith (nach Ayers Rock, Australien) der Welt, der als braun glänzender Koloss inmitten eines goldgelb funkelnden Sandfeldes steht und als Touristenattraktion Interessierte aus aller Welt in die Grenzregion zu West-Sahara zieht;
- der „Guelb er Richat” („Inselberg von Richat“) mit seinen konzentrischen Kreisen in der Adrar-Region („Auge der Sahara“; „Auge Afrikas“; „Bull’s eye“). Das nur wenige Meter hohe Gebilde aus Sedimentgestein mit seinem gerundeten Zentrum wird sogar von Astronauten zur Orientierung benutzt.
Am Boden wandelt sich die aus der Flugzeugperspektive wahrgenommene Eintönigkeit mit der Wanderung der Sonne zu einem unvergesslichen Natur-Spektakel, wenn die Dünen, die 40% der Landesoberfläche bedecken, mit unterschiedlicher Helligkeit bestrahlt werden. Dennoch ist der Tourismus wenig ausgeprägt. Es existieren etwa 12 300 km Straßen, die nur zu einem Drittel asphaltiert sind und unter ständigen Sandverwehungen leiden. Da die fruchtbaren Gegenden ausschließlich an der Westküste und im Einzugsgebiet des Senegalflusses liegen, leben ungefähr 80% der Bevölkerung auf 15% der Landfläche. Im Landesdurchschnitt kommen 4,0 Einwohner auf einen Quadratkilometer. Am Senegalfluss sind es dagegen 633 Einwohner. Allein in der Hauptstadt Nouakchott ist die Zahl der Bewohner auf über eine Million gestiegen.
Im Westen grenzt Mauretanien an den Atlantik, im Norden an West-Sahara und Algerien. Im Nordwesten an die von der „Frente Polisario“ ausgerufene Demokratische Arabische Republik Sahara, im Osten und Südosten an Mali und im Süden an Senegal. Die West-Ost-Ausdehnung beträgt 1150 km, die von Nord nach Süd 1400 km. Seine Lage macht Mauretanien zu einem ausgesprochenen Wüstenland, in dem sich die Sahara in jedem Jahr bis zu sechs Kilometer weiter nach Süden ausdehnt. Dadurch ging die Anzahl der viehzüchtenden Nomaden von 75% der Bevölkerung (1960) auf heutige 10% zurück. Das Wüstenklima weist hohe Temperaturen auf, die nur geringen Schwankungen der Jahrestemperaturen unterworfen sind. Das gesamte Jahr über weht in der Sahara der trockene, heiße Nordostpassat („Harmattan“). Temperaturanstiege erreichen bis zu 50° C (122 °F). Gelegentliche Milderungen ergeben sich nur im Küstenbereich, wenn die kühle Meeresluft auf die heiße Saharaluft trifft und Nebel entsteht. Der Niederschlag in der Regenzeit (Juli bis Dezember) beträgt im Süden 400 mm, im Norden 100 mm. Am Senegalfluss fallen ebenfalls 400 mm Niederschlag.
Probleme bestehen in der Überweidung der verfügbaren Flächen, der Abholzung der Wälder, der Bodenerosion und Desertifikation, der Überbevölkerung. Gegenwärtig ist ein Programm der Wiederaufforstung angelaufen.
Die Regierung hat Maßnahmen für den Naturschutz ergriffen. 1976 erklärte sie ein Drittel der Küste zum Nationalpark. Die „Banc d’Arguin“ erstreckt sich über 12 000 km² und ist ein Vogelparadies. Sie ist das Winterquartier der eurasischen Zugvögel auf der Ostatlantikroute. Über zwei Millionen Vögel aus 250 Arten bleiben zwischen Herbst und Frühjahr dort. Mit 45 000 Paaren aus 15 Arten ist der Nationalpark die größte Brutkolonie der Seevögel Westafrikas, die allerdings von vorbeifahrenden Tankschiffen und Erdölabbau im Meer gestört wird. Für den Verkauf der Fischfanglizenzen erhält die Regierung entsprechende Zahlungen. Das Fischereiabkommen mit der Europäischen Union (2006) sah jährliche Zahlungen von 86 Millionen Euro vor, von denen 1 Million zweckgebunden in den Park „Banc d’Arguin“ fließt. /1/ Der „Parc National Banc d’Arguin“ mit seinen Gazellen, Schakalen, Hyänen ist seit 1989 UNESCO-Weltnaturerbe. 1991 wurde der „Parc National Diawling“ im Süden an der Grenze zu Senegal gegründet. Er umfasst das Delta des Flusses und ist berühmt für die riesigen Vorkommen an Störchen, Flamingos, Pelikanen und die Vielfalt der Fischarten. 2005 wurde er zum Welterbe-Nationalpark erklärt.
Der Senegal ist der einzige wasserführende Fluss Mauretaniens.
Es gibt in den Hochebenen Wadis, in denen sich Regenwasser in Seen sammelt. Die nördliche Talseite des Senegalflusses ist bis zu 30 km breit, doch die heranrückende Wüstenbildung bedroht Fischerei und Landwirtschaft.
Quellen und Brunnen gibt es auch in den Hochebenen Adrar und Tagant, was dort Landwirtschaft und den Anbau von Dattelfrüchten ermöglicht.
Am fruchtbarsten sind die Überschwemmungsgebiete am Senegalfluss. Dort gedeihen Palmen, Baobabs, Bambus sowie Weiden, Akazien und Jujubas. In den Oasen dominieren Dattelpalmen.
Die Fauna wird durch die Vielzahl der Vogelarten (s. „Banc d’Arguin“) und den Fischreichtum der Atlantikküste bestimmt. Elefanten wurden nach 1920 ausgerottet. Vor allem im Flusstal des Senegal haben Affen, Krokodile, Löwen und Flusspferde günstigen Lebensraum. Als Besonderheit gelten die hier vorkommenden Panter (Leoparden mit schwarzer Fellfärbung). Die klimatischen Bedingungen und schwierigen Reisewege lassen nur geringen Tourismus zu. Auf Grund der Ermordung von vier französischen Touristen am 24. Dezember 2007 in der Adrar-Region, welche die Regierung Al-Kaida aus dem islamischen Maghreb anlastete, ging die Zahl der Touristen von 14 000 (im Jahr 2000) um die Hälfte zurück. /2/ 2008 wurde wegen möglicher Terroranschläge auch die Auto-Rallye Paris-Dakar abgesagt. Das sorgte für weltweite Schlagzeilen, weil erstmals ein Veranstalter vor terroristischer Gefahr kapitulierte. Seit 2011 sind keine Anschläge mehr registriert worden.
Der weltweite Klimawandel macht der Hauptstadt Nouakchott zu schaffen. Da einige Stadtteile unter dem Meeresspiegel liegen, werden sie vom steigenden Wasser bedroht. Die Überschwemmungen nehmen zu, weil der Dünenschutzgürtel beschädigt wurde. Der Sand fand als Baumaterial in der Stadt Verwendung. Von Osten rücken die Sanddünen der Sahara heran. Mit der Zunahme der Stadtbewohner stieg der Grad der Vermüllung. Um das Abwasserproblem zu lösen, baute China einen 40 km langen Abflusstunnel zum Atlantik.
2. Historische Entwicklung von der vorkolonialen Zeit bis zur Unabhängigkeit
Funde weisen darauf hin, dass es schon vor etwa 20 000 Jahren menschliches Leben in der Region des heutigen Mauretanien gegeben hat.
In der Antike wurden die nordafrikanischen Berber Mauren genannt. Sie waren Namensgeber für das um 200 v. Chr. existierende Königreich Mauretania, das Teile des heutigen Staaten Marokko und Algerien umfasste. Später geriet es in Abhängigkeit der Römischen Republik. Das heutige Mauretanien hat damit keine historische Verbindung und ist lediglich Träger des antiken Namens.
Im 9. Jahrhundert hatten sich berberische Viehzüchter in diesem Teil Westafrikas niedergelassen. Sie kamen aus dem Osten und Nordosten und führten das Kamel als Reit- und Transportmittel ein. Der Sanhadscha-Bund (entstanden aus der Verbindung der Berberstämme Messufa und Djodala) betrieb Handel und kontrollierte den westlichen Transsahara-Karawanenhandel (Metalle, Edelmetalle, Salz, Sklaven). Unter ihrem Führer Tilantan gründeten sie ein Königreich. Dieses zerfiel Anfang des 10. Jahrhunderts. Es gelang dem Missionar, Theologen und Rechtsgelehrten Abdallah Ibn Yasin in der Mitte des 11. Jahrhunderts die Stämme (Lamtuna, Masufa, Dschudala) zum Kampfbund der Almoraviden zu vereinigen. Er predigte den Berbern einen puritanischen sunnitischen Islam. /3/
Das Reich der Almoraviden dehnte sich in der Folgezeit („Heiliger Krieg“) auf ein Territorium von Mauretanien, das heutige West-Sahara, Marokko, Algerien bis nach Saragossa aus. Marrakesch avancierte zur Hauptstadt. Im Süden wurde das Ghana-Reich erobert. Als gravierendste Folge der Herrschaft der Berberdynastie der Almoraviden gilt die Islamisierung Westafrikas. In der Mitte des 12. Jahrhunderts erlangte die muslimische Berberdynastie der Almohaden die Macht über den Maghreb und die spanischen Territorien. Sie löste sich von den anthropomorphen Gottesvorstellungen der Almoraviden.
Vom 13. bis zum 17. Jahrhundert setzten sich arabische Stämme im Norden des heutigen Mauretanien fest. Im Süden dehnte sich das seit dem 8. Jahrhundert bestehende Songhay-Reich am Niger aus. Östlich davon wuchs das Imperium Kanem-Bornu um den Tschadsee, das den transsaharischen Handel kontrollierte. Daraus ergab sich eine lockere Anbindung des mauretanischen Nordens an Marokko, während der Süden in seiner Verbindung mit dem Mali-Reich blieb.
Aus der Vermischung der angekommenen Araber mit den Berbern und bereits ansässigen Schwarzafrikanern gingen die Mauren hervor. 1674 siegten die Araber über die Berber, die sich ihnen nun unterordnen mussten. Die heutige Sozialstruktur geht auf dieses Ereignis zurück. Unten in der sozialen Hierarchie standen die schwarzen Sklaven, die sowohl den Kriegern als auch den islamischen Geistlichen gegenüber unterwürfig waren. Diese drei Gruppen sprechen den arabischen Dialekt Hassanija. Die schwarze Bevölkerung blieb die vom Sklavenhandel am meisten beeinträchtigte Gruppe. Schon als die Portugiesen 1411 im Auftrag Heinrich des Seefahrers die mauretanische Küste entdeckten, hatte das schwerwiegende Folgen. Auf der Insel Arguin (der einzigen von 15 Inseln zwischen Agadir und Senegal, die ein Süßwasservorkommen hat) nahm der transatlantische Sklavenhandel seinen Anfang. Von dort wurden afrikanische Sklaven nach Amerika verschifft.
Die Islamisierung war ein fast 500jähriger Prozess. Sie begann mit den ersten Kontakten zwischen Berbern und Arabern. Chinguetti gilt noch heute als eine der sieben heiligen Stätten des Islam bzw. der sunnitischen Mauren. Die Stadt war Zentrum der islamischen Bildung und Lehre. Es wurden Astronomie, Mathematik und Medizin gelehrt. Bedeutende mittelalterliche Bibliotheken entstanden. Sie hatte Bedeutung als Stätte der Begegnung und als Handelsplatz. An manchen Tagen zogen tausende Kamele durch die Straßen der Stadt. Sie trugen Salz, Weizen, Datteln, Gold, Elfenbein und Straußenfedern. In Chinguetti wurden die Schläuche aus Ziegenleder mit Wasser gefüllt und die Tiere getränkt. Mekka-Pilger versammelten sich und schlossen sich dem Schutz der Karawanen an. Auf traditionellen Routen zogen sie durch goldgelb funkelnde Dünenberge, durch Sandebenen, tiefe Canyons mit felsigem Boden und durch Oasen mit Dattelpalmen und immergrünen Minzefeldern.
Die ungünstige Erreichbarkeit und die Unwegsamkeit seiner Sahara-Regionen hatten im Verlauf der Kolonisierung Afrikas nur geringes Interesse für dieses Territorium entwickeln lassen. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts begann Frankreich mit der militärischen Eroberung, da es mit der Aneignung dieses Landes seine Besitzungen im Norden und Nordwesten besser sichern konnte. Mit Marokko und Algerien wurde Mauretanien 1883/84 zur französischen Kolonie Ober-Senegal. Durch die Berliner Konferenz 1885 zur Aufteilung Afrikas unter den Großmächten wurde Frankreichs Besitzanspruch bestätigt. Nach harten Kämpfen gegen die sich widersetzenden maurischen Stämme nahm es 1904 das eroberte Gebiet als Teil Französisch-Westafrikas in Besitz. Der Widerstand dagegen hielt in einigen Landesteilen bis 1934 an. 1920 wurde Mauretanien ein französisches Protektorat und 1921 eine französische Kolonie. Seit den 50er Jahren strebte es seine Unabhängigkeit an. Im Rahmen der neuen Kolonialpolitik in den 50er Jahren wurde es zunächst zur französischen Überseeprovinz und damit Bestandteil der Union francaise. Aus dieser kurzzeitigen Autonomie in der französischen Gemeinschaft wurde Mauretanien entlassen und erlangte am 28. November 1960 seine Souveränität. Im gleichen Zeitraum erfolgte die Gründung der Stadt Nouakchott. Der Gründung des unabhängigen Staates Mauretanien waren politische Querelen vorausgegangen. Marokko erhob Ansprüche auf das Territorium, weil in der vorkolonialen Zeit die Almoraviden das nordwestliche Afrika beherrschten. Deshalb sollten Mauretanien, West-Sahara, Teile Algeriens und Mali zu Großmarokko vereinigt werden. Das führte zu einem internationalen Konflikt. Auf der Seite der Befürworter des Großmarokko-Projekts standen der Führer der marokkanischen Istiqlal-Partei, Allal al-Fassi, Marokkos König Hassan II., die Arabische Liga und die Mitgliedstaaten der Casablanca-Gruppe (1961: die algerische Exilregierung; Ägypten; Ghana; Guinea und Mali). Das gegenteilige Interesse Frankreichs vertrat Staatspräsident de Gaulle. /4/
Im Oktober 1961 wurde Mauretanien gegen den Willen Marokkos UNO-Mitglied. Das Großmarokko-Vorhaben scheiterte endgültig 1963. König Hassan II. erkannte die Unabhängigkeit Mauretaniens erst 1969 an. Diese manifestierte sich in der Verabschiedung der ersten Verfassung, welche Mauretanien als Republik mit einem Präsidialsystem definierte. Nach den Präsidentschaftswahlen wurde Moktar Ould Daddah das erste Staatsoberhaupt.
3. Bevölkerung
Beinahe 100% der mauretanischen Bevölkerung gehören dem Islam malikitischer Prägung an, der um 800 n.Chr. aus einer der vier traditionellen Rechtsschulen des sunnitischen Islam entstand.
In Mauretanien leben Berber, arabische und schwarzafrikanische Völkergruppen zusammen. Noch immer bestehende feudale und rassistische Strukturen befinden sich seit der Unabhängigkeit und langen Dürreperioden im Prozess der Auflösung, der zugleich von einer zunehmenden Verstädterung begleitet wird. 53% der Bevölkerung leben heute in den Städten. Der Anteil der Nomaden ist von 90% (1960) auf 10% (2000) zurückgegangen.
Eine 2011 vorgesehene Volkszählung musste nach Protesten 2012 abgebrochen werden. Es war vorgesehen, dass Personen unter 45 Jahren, die keinen Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit erbringen können, nicht als Bürger Mauretaniens anerkannt werden.
Arabisch ist die offizielle Landessprache der 4,4 Millionen Einwohner. Es wird in seiner mauretanischen Variante Hassania gesprochen. Französisch spielt die Rolle der allgegenwärtigen Arbeits-, Handels- und Bildungssprache. Dazu sind die Nationalsprachen Pular, Soninké und Wollof verbreitet.
Das Einführungsschuljahr wird seit 1999 in Arabisch absolviert. Französisch ist jedoch für alle Schüler und Studenten verbindlich. An der Universität von Nouakchott werden alle Naturwissenschaften ausschließlich in Französisch gelehrt. Die gesellschaftlichen Spannungen zwischen Mauren und Schwarzafrikanern drücken sich auch darin aus, dass Erstere Arabisch bevorzugen, die anderen die französische Sprache.
Die Einschulungsquote weist steigende Tendenz auf. Lag sie 1980 noch bei 33%, war sie 2014 auf 76,7% angestiegen.
Allerdings ist die Analphabetenrate noch immer sehr hoch. Sie liegt gegenwärtig bei 48% (Frauen 59%, Männer 37%) und weist zunehmend Fortschritte auf (1982: 82,6%; 2002: 62,3%). /5/
Im Niedergang befinden sich die Berbersprachen der Zenaga und Imraguen („Die, welche Leben sammeln“). Letztgenannte sind etwa 1500 schwarze Mauren, die als Küstenfischer um den „Banc d’Arguin“-Nationalpark leben. In der mauretanischen Gesellschaft werden sie in die unterste soziale Schicht eingegliedert und ausgegrenzt. Ihre Fangmethoden gelten als archaisch. Sie gehen ins Wasser und trommeln Delfine zu Hilfe, um Meeräschen auf dem Weg zu ihren Laichplätzen im Golf von Guinea abzufangen. Mit der Gründung des Nationalparks verloren sie 1989 ihre Fischereirechte und ihre Existenzgrundlage. Erst nach Protesten und als die Regierung in Nouakchott erkannte, dass die Imraguen ihre Fischgründe mit den traditionellen Segelbooten nicht plünderten, erhielten sie die Nutzungsrechte für das empfindliche Ökosystem an der Küste zurück. Sie dürfen als Einzige in den Gewässern des Nationalparks fischen. In den Küstengewässern außerhalb der Parkgrenzen liefern sich tausende Fischerboote eine unerbittliche Schlacht um die Ressourcen.
Die Imraguen fangen mit ihren bis zu 12 m langen Booten vor allem Haie und Rochen.
Neben der Fischerei sind sie auch als Parkwächter und Touristenführer tätig.
Die Berbersprache Zenaga wird nur noch von etwa 6 000 Menschen im südlichen Mauretanien gesprochen. Sie wird durch Hassania ersetzt, das zahlreiche Lehnwörter aus dem Zenaga enthält.
Die Mauren stellen 70% der Bevölkerung. 30% sind die Bidhan, die hellhäutigen (weißen) Mauren. Sie rekrutieren die beiden Oberschichten der hierarchisch gegliederten Mauretanischen Gesellschaft: die Hassani (Krieger) und Marabouts (Islamgelehrte). Diese arabisch-berberischen Mauren sprechen bevorzugt Hassania. Während sie früher als nomadische Viehzüchter das Land durchzogen, leben sie heute in der Mitte und im Norden des Landes. 40% der Bevölkerung sind die Haratin, die dunkelhäutigen Mauren. Sie sind die Nachkommen ehemaliger Sklaven. Sie rechnen sich zum maurisch-arabischen Kulturkreis. Schwarzafrikanische Ethnien machen 30% der Bevölkerung aus: Wolof, Soninké, Bambara und Halpulaar (auch bekannt als Fulbe, Fulani, Peul, Fulfude). Die Halpulaar bilden die größte Gruppe mit etwa 20%. Sie sind in 18 Ländern Westafrikas vertreten, wo sie als Wanderhirten durch ihre engen Beziehungen zu ihren Rindern bekannt wurden und auf der Suche nach Weideland in Streit mit ansässigen Bauern gerieten. In Mauretanien siedeln sie in den südlichen Regionen Trarza, Brakna, Gorgol und Guidimakha. Sie betreiben Ackerbau am Senegalfluss. /6/
Die schwarzafrikanischen Ethnien tendieren zum Gebrauch der französischen Sprache, was mit der zunehmenden Arabisierung Konfliktpotenzial enthält.
Islamische Geistliche und die Regierung bekämpfen mit wachsendem Erfolg die noch immer praktizierte Beschneidung von Mädchen und Frauen.
Die ethnische Vielfalt der Mauretanier sichert den Erhalt ihrer jahrhundertealten Kultur. So wird die Khaima, ein aus der nomadischen Lebensweise hervorgegangenes Zelt selbst von Stadtbewohnern in der Freizeit genutzt. Gold- und Silberschmiede, Holzschnitzer und Schneider gelten als traditionsbewusste Produzenten. Für Frauen ist die in auffälligen Farben getragene Malafa typisch. Männer kleiden sich in den Boubou.
4. Wirtschaft
Mauretanien ist eines der ärmsten Länder der Welt. Im Wohlstands-Index der Bevölkerung belegt es den 154. Platz von 175 beurteilten. Der Global Competitiveness-Index – Gradmesser für die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit eines Staates – weist Mauretanien auf den 137. Rang von 138 (2017). Insgesamt gehört es zur Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries) und der hochverschuldeten armen Staaten (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC). Zum Zeitpunkt der Erlangung der Unabhängigkeit war Mauretanien von extremer Armut und fehlenden Infrastrukturen sowie mangelnden administrativen Fähigkeiten geprägt. Dabei hat das Land durchaus Ressourcen, die eine positive Entwicklung versprechen.
Für internationale Aufmerksamkeit sorgte zu Beginn der 1960er Jahre die Eisenerzgewinnung in der „Schwarzen Sahara“ bei F’derik/Zouérate im Norden des Landes. Dort befinden sich nach heutiger Schätzung bis zu 12 Milliarden Tonnen Eisenerz mit einem Metallgehalt von 65%, leicht abbaufähig gelagert. Die Transportzüge auf der einzigen Eisenbahnstrecke waren und sind die schwersten der Welt. Sie durchqueren seit 1963 die Sahara auf einer Länge von 704 km vom Abbaugebiet Zouérate bis zum Naturhafen bei der Stadt Nouadhibou (100 000 Einwohner). 200 Wagons mit 21 000 t Eisenerz werden von vier Lokomotiven gezogen. Begeistert wurde darüber bereits 1963 berichtet: „Eisenerz mit über 65% Eisengehalt kann wie in einem Steinbruch gewonnen werden. Es muss nur gesprengt, auf Schüttrinnen gekippt, mit mechanischen Schaufeln, die acht Tonnen fassen, in Wagen mit 100 Tonnen Ladegewicht verladen und … über die Dünen, einen etwa 300 Meter hohen steilen Abhang hinunter zu einem neuen Hafen befördert werden. … Zur Ausbeutung dieses Vorkommens ist eine neue große Gesellschaft, die Société des Mines de Fer de Mauretanie (MIFERMA) gegründet worden, an der 50% französisches, 20% britisches, 30% westdeutsches und italienisches Kapital beteiligt sind. Auch die Weltbank ist … mit einer Anleihe in Höhe von 21 Millionen Pfund Sterling eingestiegen.“ /7/
Der Regierung von Mauretanien wurden auf Grund eines Abkommens 50% des Profits zugesichert, jedoch kein Erz, um eine eigene Industrie zu entwickeln. Der transnationale Konzern MIFERMA sicherte 80% der Staatseinnahmen und verfügte über starken politischen Einfluss. Da der wandernde Saharasand die Eisenbahngleise ständig verschüttet, die Züge und Schienen unter hohem Verschleiß leiden, war man gezwungen, im Abstand von 100 Kilometern Stationen zur Sandbeseitigung einzurichten. Mit der Gründung der Gesellschaft für Import von Zucker, Reis und Tee (SOMITEX) 1966 brach das Handelsmonopol der französischen Händler mit Sitz in Dakar. Mit einer eigenen Zolleinrichtung löste man sich von Senegal. 1972 erhielt die arabisch-mauretanische Bank das Außenhandelsmonopol und wurde 1973 zur Zentralbank. Den wichtigsten Schritt zur ökonomischen Unabhängigkeit beschritt man 1974/75 mit der Verstaatlichung des Bergbaus. Saudi-Arabien, Kuwait und Marokko leisteten ökonomische Unterstützung. Das führte in dieser Periode zu einer stärkeren Anlehnung an die muslimischen Länder und beflügelte den Eintritt in die Arabische Liga. Der Verkauf des Eisenerzes sicherte zunächst eine ausgeglichene Zahlungsbilanz. Seit 2017 ist die Handelsbilanz mit 1,64 Mrd $ Nettoimporten negativ (Export 3,1 Mrd. $; Import 4,74 Mrd. $). Importiert wird aus China, Südkorea, Norwegen, Frankreich und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Exporte gehen nach China (715 Millionen $), die Schweiz, nach Spanien, Japan und Deutschland. 2017 erbrachte die Ausfuhr von Eisenerz mit 813 Millionen $ 26,3% der Einnahmen, Gold 19,9% (618 Millionen $), Kupfererz 6,7% (208 Millionen $), Nichtfilet Frozen Fish 14% (421 Millionen $), verarbeitete Krebstiere 12% (348 Millionen $) und Weichtiere 7% (218 Millionen $). Die wichtigsten Importgüter waren Spezialschiffe (1,03 Mrd. $), Refined Petroleum (336 Millionen $), Weizen (181 Millionen $), Zucker (179 Millionen $). /8/
Das mauretanische Brutto-Inlandprodukt (BIP) betrug 2017 5,02 Mrd. $, das Pro-Kopf-Einkommen 3950 $ (2005: 697 $). Unter den drei Hauptwirtschaftszweigen nimmt der Erzbergbau die dominierende Stellung ein. Er liefert 29% aller Staatseinnahmen. Diese sind vom Auf und Ab der Weltmarktpreise für Erze abhängig. Es gibt Ansätze einer nationalen Bergbaustrategie für einen nachhaltigen Rohstoffsektor mit stärker wachsender Wertschöpfung. Mauretanien ist der zweitgrößte Eisenerzproduzent Afrikas und belegt weltweit den 15. Platz. Bei Akjoujt wird Kupfer in kleinen Mengen abgebaut. 1976 wurden 10000 t gefördert, aber zwei Jahre danach nur noch 2830 t. In der Folgezeit stellte man den Abbau wegen Unrentabilität ein, später wurde die Kupferförderung wieder aufgenommen. Das gilt auch für Gold, dessen Produktion 1976 690 kg betrug, aber 1978 nur noch (geschätzt) 250 kg. Seit 2006 wird an der Atlantikküste Erdöl aus dem Chinguetti-Ölfeld gefördert. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig, die den Nahrungsmittelbedarf aber nur zu einem Drittel befriedigen kann. Im Senegaltal werden für die Selbstversorgung Hirse, Hülsenfrüchte, Reis und Mais angebaut. Die Viehwirtschaft, vor 1960 noch der Hauptwirtschaftszweig, liefert Schafe, Ziegen, Rinder und Kamele. Die positive Wachstumsrate in der Landwirtschaft und Fischerei konnte zeitweise die stark sinkenden Weltmarktpreise für Eisenerz kompensieren. Das verarbeitende Gewerbe ist nur gering entwickelt. Ab 1975 wurde mit einer staatlich gelenkten Fischereiwirtschaft begonnen und die Fischereizone auf 200 Meilen ausgedehnt. Durch Joint Ventures mit Fischereiunternehmen aus Russland, China und europäischen Staaten sicherte sich der Staat Gewinne. Hauptabnehmer des Fischfangs ist Japan. Das EU-Fischerei-Abkommen ist eine der wichtigsten Devisenquellen. Der 2015 unterzeichnete Vierjahresvertrag mit der EU sichert die Einnahme von jährlich etwa 60 Millionen Euro. Bis 2006 fingen senegalesische Fischer tausende Tonnen Sardinen und Seehecht an den mauretanischen Küsten. Die 400 Fanglizenzen wurden 2017 nicht verlängert. Um die Arbeitsplätze für Mauretanier zu sichern, wurden senegalesische Arbeiter entlassen. Die Situation erfuhr eine Zuspitzung als die mauretanische Küstenwache 2017 auf illegal fischende Senegalesen schoss.
5. Aktuelle politische Entwicklung
Das größte Problem des jungen Staates war der Konflikt mit Marokko. 1975 hatten 3000 mauretanische und 10 000 marokkanische Soldaten mit französischer militärischer Unterstützung West-Sahara okkupiert. Spanien übertrug im Madrider Abkommen vom 14.11.1975 die Verwaltung seiner ehemaligen Kolonie West-Sahara zum 28.06.1976 an beide Länder. Diese Vereinbarung veranlasste die Unabhängigkeitsbewegung POLISARIO die Demokratische Republik Sahara auszurufen. Marokko erkannte das nicht an und annektierte 1976 die nördlichen zwei Drittel. Mauretanien beanspruchte das südliche Drittel, begründete das mit Verwandtschaftsbeziehungen und der Absicht, die dortigen Phosphatvorkommen ausbeuten zu wollen. Mauretanien war der sich aus dieser Situation ergebenden finanziellen Belastung nicht gewachsen. Steigende Militärausgaben für die von 3000 auf 17 000 Soldaten aufgestockte Armee, sinkende Preise für Eisenerz und die anhaltende Saheldürre liefen auf den ökonomischen, militärischen und innenpolitischen Ruin Mauretaniens hinaus. Seine Abhängigkeit vom extraktiven Sektor machten das Land anfällig für schwankende Rohstoffpreise. Erst als Mauretanien die Militärausgaben nicht mehr aufbringen konnte, kam es am 30. Juli 1979 zur Feuereinstellung und zum Friedensvertrag mit der POLISARIO. Die Jahre zwischen 1978 und 1984 waren gekennzeichnet durch politische Instabilität, Militärputsche und Revolten. Die Scharia bildete die Grundlage der Gesetzgebung. Die innenpolitische Instabilität äußerte sich im Wechsel der politischen Führungskräfte. 1961 bis 1978 regierte Präsident Daddah. Er verlor das Amt 1978 an ein Militärregime, das ab 1979 als Comité Militaire du Salut National (CMSN) die Macht übernahm und die Präsidenten Moustapha Ould Salek (1978/79), Mohammed Ould Louly (1979/80) und Khouna Ould Haidallah (1980 bis 1984) hervorbrachte. Ab 1984 übernahm der Generalstabschef und Ex-Premierminister Mouawiya Ould Sid´Taya die Funktion des Staatsoberhauptes. Zu Beginn des Jahres 1991 kündigte er eine demokratische Umgestaltung des Landes an. Nach dem Referendum vom 12.07.1991 wurde eine neue Verfassung der Islamischen Präsidialrepublik mit 97,9% der abgegebenen Stimmen angenommen. Am französischen Vorbild orientiert, sah sie Gewaltenteilung, ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament vor. Der Präsident wird in direkter Wahl für sechs Jahre bestimmt. 1997 ging Ould Taya zum zweiten Mal nach 1992 als Wahlsieger hervor. In seiner Regierungszeit kam es 1989 zu einem Grenzkonflikt mit Senegal und in der Folge zu Unruhen und Gewaltexzessen gegen schwarze Mauretanier. Senegal hatte Anspruch auf das rechte Flussufer erhoben. Es kam zu Progromen auf beiden Seiten. 200 000 Mauren flüchteten aus dem Senegal nach Mauretanien, 60 000 Schwarzafrikaner aus Mauretanien in den Senegal. 1999 nahm Mauretanien diplomatische Beziehungen zu Israel auf. Der Militärputsch vom 3. August 2005 beendete die zwanzigjährige autoritäre Herrschaft Tayas. Das rief einen Umbruch zu mehr Demokratie und die Gründung neuer Parteien hervor. Das Verfassungsreferendum vom 25. 06. 2006 zur Modifizierung der Verfassung von 1991 erhielt 96,9% Zustimmung. Die Amtszeit künftiger Präsidenten wurde auf zwei Wahlperioden eingeschränkt. 2006 erfolgten Parlamentswahlen und Präsident Abdallahi übernahm die Regierungsgeschäfte. Er trat für das Ende der Tabuisierung des Sklavereiproblems in Mauretanien ein, verfügte die staatliche Kontrolle über Importe und die Verteilung von Lebensmitteln. Außerdem setzte er sich für die Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Senegal ein. Dadurch sicherte er sich die Unterstützung der bisher ausgegrenzten schwarzen Bevölkerung, der Haratin. Der Demokratisierungsprozess wurde durch den Staatsstreich vom 6. August 2008 unter General Abdel Aziz unterbrochen. Als Gegenkraft entstand die Front National de Defense de la Democratie (FNDD), die auf der Seite des gestürzten Präsidenten agierte. Die Europäische Union, die USA, die Afrikanische Union und die Arabische Liga verurteilten den Staatsstreich. Mauretaniens Mitgliedschaft in der Afrikanischen Union wurde ausgesetzt. Bisherige Geldgeber wie die Europäische Union, die USA und die Weltbank stellten ihre Zahlungen ein. Der UNO-Vertreter für Westafrika forderte von Präsident Aziz, einen Dialog mit der Opposition aufzunehmen, um die innenpolitische Stagnation zu überwinden. Der internationale Druck führte zu Verhandlungen unter der Führung des senegalesischen Präsidenten mit dem Ergebnis neuer Präsidentenwahlen am 18.07.2009.
Die novellierte Verfassung vom 02.07.1991 in der Version vom 10.01.2012 erklärt den Islam zur Staatsreligion, garantiert Gewaltenteilung und politischen Pluralismus sowie Menschen- und Bürgerrechte. Seit den Parlamentswahlen 2018 hat die Nationalversammlung 157 Mitglieder aus 15 Parteien und 8 unabhängigen Abgeordneten. 20 Sitze sind Frauen vorbehalten. Die größte Oppositionspartei errang 14 Plätze. 2018 wurde das Gesetz zur Schaffung von Regionalräten erlassen, welches die Bildung von sechs administrativen Regionen beinhaltet. Es dient der Weiterentwicklung der mauretanischen Dezentralisierungspolitik. Seit der Erlangung der Unabhängigkeit hatte das Militär entscheidenden Einfluss auf die Politik. Das scheint sich nicht fortzusetzen. Die Militärausgaben lagen ab 2010 bei 3,9% des Staatshaushaltes (etwa 150 Millionen US-Dollar). Seit 2015 wird die mauretanische Armee von der NATO bei der Ausbildung für den Antiterroreinsatz unterstützt.
Die Präsidentenwahlen vom 22.06.2019 gewann Mohamed Ould Ghazouani mit absoluter Mehrheit (52,01%). Seine Partei Union pour la République (UPR) gewann 89 der 157 Sitze in der Nationalversammlung. Die Demokratie steht in Mauretanien noch auf unsicheren Füßen. Die Opposition hat Auftrieb bekommen. Demonstrationen der Anti-Sklaverei-Aktivisten werden im In- und Ausland wahrgenommen. Es wird Druck auf die Regierung ausgeübt, sich zu diesem Thema zu äußern und Stellung zu beziehen. Polizei-Einsätze gegen Demonstranten und Verhaftungen der Mitglieder der Organisation IRA-Mauritanie finden die Missbilligung von Menschenrechtsorganisationen. Noch immer sieht sich die mauretanische Regierung internationaler Kritik ausgesetzt, da die Sklaverei im Lande fortbesteht. Zwar bestätigte eine Vertreterin der UNO Ende 2009 Bemühungen der Regierung zur Abschaffung der Sklaverei. Offiziell gilt ein Verbot bereits seit 1980. Strafandrohungen gibt es jedoch erst seit 2007. Die zur Beseitigung notwendigen Strukturveränderungen wurden noch nicht vorgenommen. Vor Gericht stehen die Sklaven in der Beweispflicht und Sklavenhalter werden begünstigt. Die bis jetzt fehlende international geltende und anerkannte Definition der modernen Sklaverei erschwert ihre Bekämpfung. Im Allgemeinen umfassen die Definitionen Zwangsarbeit im privaten Sektor und Schuldknechtschaft, Zwangsheirat von Frauen und Kindern beiderlei Geschlechts, Kindersklaverei. Auch Zwangsprostitution, Leibeigenschaft und Menschenhandel werden genannt, sowie Formen der historischen Sklaverei mit einem anerkannten Besitzverhältnis über versklavte Menschen. Diese arbeiten ohne oder fast ohne Lohn als Hausangestellte oder Landarbeiter für „Herren“. In Mauretanien rekrutieren sich die Sklaven meist aus den Haratin. Heute gilt vor allem, wenn „eine Person zum Zwecke der wirtschaftlichen Ausbeutung unter Kontrolle einer anderen Person steht, welche Gewalt- und Machtmittel einsetzt, um diese Kontrolle aufrecht zu erhalten.“/9/
Die historische Sklaverei existiert in Mauretanien vor allem in Form der erblichen Sklaverei. Über die Anzahl traditioneller Sklaven gibt es nur geschätzte Zahlen. Der Global Slavery Index vermutet etwa 160 000 Personen. Die mauretanische Organisation SOS Esclaves schätzt sie bis zu 600 000. /10/
Der Amnesty Report Mauretanien (23.05.2018) kritisierte die eingeschränkte Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Ausländischen Menschenrechtsaktivisten sei die Einreise verweigert worden. Er erhob den Vorwurf der Anwendung der Folter. Im April 2017 lösten Sicherheitskräfte in der Hauptstadt gewaltsam eine Demonstration von Jugendlichen auf, die von den politisch Verantwortlichen Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit forderten. Im November 2017 wandelte ein Gericht in Nouadhibou das Todesurteil gegen den Blogger Mohamed Mkhaitir in eine zweijährige Freiheitsstrafe um. Er war 2014 wegen „Abfall vom Glauben“ schuldig gesprochen worden. 2017 erhielten US-amerikanische Anti-Sklaverei-Aktivisten keine Einreisvisa.
Der UN-Sonderberichterstatter beschuldigte im März 2017 die Polizei der Anwendung der Folter. Gleichzeitig bestätigte er der Regierung Fortschritte bei der Bekämpfung der Armut. Sie seien jedoch für große Teile der Bevölkerung beim Zugang zu Nahrung, Bildung, Trinkwasser, Sanitärversorgung und Gesundheitsfürsorge noch auszubauen.
Die innenpolitische Lage wurde seit 2005 von internen Konflikten und Militärputschen geprägt. Mit den Aktivitäten radikaler islamischer Gruppen wie Al-Qaida verschlechterte sich die Sicherheitslage. Indem Europa durch verstärkte Abriegelung seiner Außengrenzen den Zugang für afrikanische Migranten und Flüchtlinge erschwert, wird Mauretanien zunehmend vom Transitland zum Bleibeland dieser Gruppen. Kontrollen an den Grenzen in den Wüstenregionen, den Ländergrenzen und an der Atlantikküste waren nur eingeschränkt möglich. Das förderte kriminelles Tun wie Drogenschmuggel und Menschenhandel. Allerdings gibt es bereits seit 2014 unter Präsident Aziz Bemühungen, durch Reformen die Polizei zu modernisieren und auf ihre wesentlichsten Dienstleistungen auszurichten. In Kooperation mit Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad bemüht sich Mauretanien in der Gruppe G5-Sahel („G5 du Sahel“) um die Stärkung im Sicherheitsbereich und engagiert sich in der „Gemeinsamen Eingreiftruppe“. Die beteiligten Staaten investieren jeweils 10 Millionen Euro in die multinationale Anti-Terror-Einheit. Außer den 12 000 westafrikanischen Sicherheitskräften unterstützen auch französische Soldaten die Friedensmission der Vereinten Nationen. Neben der französischen Hilfe bei der militärischen Ausrüstung gibt es finanzielle Unterstützung seitens der Europäischen Union.
Algerien öffnete im August 2019 seine 460 km lange Grenze zum Nachbarstaat, um den Zivilverkehr, den Handel und die Sicherheitslage zu verbessern. Der Zustand der Demokratie in Mauretanien drückt sich unter anderem in der Vielzahl vorhandener Parteien aus. Im März 2019 wurden 76 der 107 existierenden Parteien für ungültig erklärt. Dieser Beschluss basierte auf einem Gesetz aus dem Jahre 2012, welches 2018 eine Überarbeitung erfuhr. Danach erfolgt die automatische Auflösung einer Partei, wenn sie bei den Kommunalwahlen 2013 und 2018 weniger als ein Prozent der Stimmen erhielt.
Die Besinnung auf historische Werte äußerte sich in der 2017 neu geschaffenen Nationalhymne und der Nationalflagge. Letztere begrenzt die Mondsichel mit Stern auf grünem Grund durch zwei rote Balken. Sie symbolisieren das in der Zeit des Kampfes für nationale Unabhängigkeit vergossene Blut.
Seit 1945 ist der Mauretanische Ouguiya (MRO) die Landeswährung. Deshalb blieb dem Land die Eingliederung in das System des CFA-Franc erspart. 2018 erfolgte die Ausgabe neuer Banknoten, um die Währung stabil zu halten. Aus zehn Ouguiyas wurde ein Ouguiya. Damit sollte gleichzeitig die Menge der im Umlauf befindlichen Banknoten verringert werden. Die größte Banknote, der 5000-Ouguiya-Schein wurde aus strapazierfähigem Polymerpapier hergestellt. Das war als Anregung gedacht, gehortetes Bargeld bei Banken einzutauschen. Als Folge der Umstellung stiegen die Preise einiger Produkte.
International genoss Mauretanien den Ruf eines toleranten Landes. Radikaler Islamismus galt als Randproblem. Deshalb erregte es weltweites Aufsehen, als Anfang 2008 islamische Terroristen in Nouakchott einen Anschlag auf Israels Botschaft verübten. Wegen der sich daraus ergebenden Sicherheitsbedenken wurde im gleichen Jahr die dreißigste Auflage der Dakar-Rallye abgesagt.
Seit 2006 kam es wiederholt zu dramatischen Ereignissen an der mauretanischen Küste durch Flüchtlingsboote auf dem Weg nach Spanien. Im März 2006 fand die spanische Marine 24 Leichen von Afrikanern, die von Mauretanien zu den Kanarischen Inseln aufgebrochen waren. Hilfsorganisationen in Mauretanien sprachen von eintausend Toten in vier Monaten. Die nordwestmauretanische Hafenstadt Nouadhibou entwickelte sich zu einem der Hauptablegeplätze für Flüchtlingsboote auf dem Wege nach Europa. Die spanische Regierung bot Mauretanien Unterstützung an, um die Flüchtlingsdramen auf dem Wege zu den Kanarischen Inseln zu unterbinden. Bereits 2005 waren 3900 Menschen festgenommen worden. 2007 erreichte das beschädigte Schiff „Marin 1“ mit 400 Flüchtlingen aus Pakistan den Hafen Nouadhibou. Zwei Monate später starben 12 Afrikaner, und 90 Insassen eines Flüchtlingsbootes wurden von einem spanischen Fischkutter gerettet, nachdem die Behörden Mauretaniens ihre Hilfe für die in Seenot Geratenen abgelehnt hatten. Seit einigen Jahren verhindern Spanien und Frontex das Auslaufen der Boote aus dem Hafen von Nouadhibou. Mauretanien wurde für die Migranten zur Sackgasse. Die Europäische Union schottet sich durch die Vorverlagerung ihrer Grenzen nach Afrika ab. Ihre Entwicklungshilfezahlungen dienen der Abwehr der Migranten. Mauretanien setzt die erhaltenen Millionenzahlungen zur Grenzsicherung ein.
Als Entwicklungsland wird Mauretanien von internationalen Geldgebern unterstützt. Dazu gehören der arabische Fonds für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (mit Sitzen in Kuweit und China), die Europäische Union, die islamische Entwicklungsbank, die Weltbank, Spanien und Saudi-Arabien. Eine bilaterale Entwicklungszusammenarbeit gibt es auch mit Deutschland und Frankreich.
Die Europäische Union ist der wichtigste Handelspartner Mauretaniens. Eine ebenbürtige Rolle spielt China, welches den Ausbau der Infrastruktur vorantreibt. Die Chinesen bauen die Häfen und die Kanalisation aus, errichten Regierungsgebäude und Stadien. Enge Verbindungen gibt es zu Russland und den USA (Sicherheitsfragen). Als Handelspartner spielen Algerien und Marokko eine wichtige Rolle. Mit Deutschland ist Mauretanien seit 1960 über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) verbunden. Seit 1991 ist die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit einem Büro in Nouakchott vertreten, um Reformprozesse in der mauretanischen Politik zu unterstützen.
Das Ziel der mauretanischen Außenpolitik ist die Integration in die Weltgemeinschaft. Das Land ist Mitglied der UNO, der Afrikanischen Union (AU), der Arabischen Liga (AL), der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC). 2014 hatte es den Vorsitz der Afrikanischen Union inne. Damit war das Aussetzen der Mitgliedschaft wegen der Militärputsche 2005 und 2008 beendet. 2018 fand die Versammlung der Afrikanischen Union in Nouakchott statt. Bereits 2016 hatte das Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Nouakchott für Aufsehen gesorgt. Dort wurde besonders dem Terrorismus der Kampf angesagt.
Der Demokratie Status-Index billigte Mauretanien 2018 Rang 86 von 129 zu. /11/
Im März 2018 unterzeichneten die Regierungschefs der afrikanischen Staaten in Ruandas Hauptstadt Kigali das Abkommen zur African Continental Free Trade Area (AfCTFA). Dieses Projekt der Afrikanischen Union soll den Kontinent künftig im Welthandel besser positionieren. Mit der damit geschaffenen größten Freihandelszone der Welt erhofft sich Mauretanien einen ökonomischen Aufschwung. Da jedoch Afrikas Anteil am Welthandel seit vielen Jahren 2,5% nicht übersteigt, ist eine rasche Entwicklung nicht zu erwarten. Deshalb liegt der Schwerpunkt zunächst auf der Ausweitung des afrikanischen Binnenhandels.
Mauretanien ist Mitglied der „Organisation internationale de la Francophonie“, die (Stand 2018) 30 Vollmitglieder und assoziierte Mitglieder sowie zwei Länder mit beobachtender Funktion umfasst.
Weltweit bekannt wurde der Mauretanier Mohamedou Ould Slahi, der seit 2002 im US-Lager Guantanamo auf Kuba in Gefangenschaft saß. Die USA warfen ihm vor, in die Planung der Anschläge vom 11. September 2001 und einer Attacke auf den Flughafen in Los Angeles verwickelt gewesen zu sein. Beweise dafür gab es keine. Zur Anklage kam es nicht. Er war schon über neun Monate in Jordanien und Afghanistan verhört worden. Dann wurde er gefesselt, gewindelt und betäubt und mit einer Kapuze über dem Kopf in das Gefangenenlager auf Kuba geflogen. Ab 2005 hatte er seine Erlebnisse aufgeschrieben und mit seinem 2014 veröffentlichten „Guantanamo-Tagebuch“ die Folterpraktiken im Lager weltweit öffentlich gemacht.
6. Literaturangaben
/1/ Sturmhoebel, Elke: Die Luft ist voller Trri-trri. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 27. 1. Februar 2007. Seite R 5.
/2/ https://www.n-tv.de/leben/reise/Mauretanien-will-wieder-Urlauber-anlocken-article20696589.html
/3/ Ronart, Stefan; Ronart, Nandy: Lexikon der arabischen Welt. Ein historisch-politisches Nachschlagwerk. Artemis-Verlag. Zürich 1971.
/4/ https://de.wikipedia.org/wiki/Großmarokko
/5/ Bissio, Robert Remo; Baptista, Artur: Guia do terceiro mundo. Tricontinental Editora. Lisboa 1986. Editora Terceiro Mundo – Rio de Janeiro.
/6/ https://www.liportal.de/mauretanien/geschichte-staat/
/7/ Woddis, Jack: Afrika. Kontinent im Morgenrot. Dietz Verlag. Berlin 1963. Seite 483.
/8/ https://oec.world/de/profile/country/mrt/
/9/ https://www.liportal.de/mauretanien/geschichte-staat/
/10/ http://edition.cnn.com/interactive/2012/03/world/mauritania.slaverys.last. stronghold/index.html
/11/ https://www.liportal.de/mauretanien/geschichte-staat/
Weitere repräsentative Literatur:
Hofmeier, Rolf; Institut für Afrika-Kunde (Hrsg.): Afrika. Jahrbücher 1993 bis 2001. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara. Leske + Budrich.
Mauretanien. In: Harenberg Länderlexikon. Alle Staaten der Welt auf einen Blick. Harenberg Lexikon Verlag. 2002.
Krings, Thomas: Sahelländer: Geographie, Geschichte, Wirtschaft, Politik. Mauretanien, Senegal, Gambia, Mali, Burkina Faso, Niger (Länderkunden). wbg Academic in Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2006.
Übersetzung.
Grajek, Rainer: Mauritania / Al Jumhouriya al-Islamiya al-Muritaniya / République Islamique de Mauritanie. In: Markus Porsche-Ludwig, Ying-Yu Chen (Hrsg.): Handbook Near and Middle East States Geography – History – Culture – Politics – Economy. LIT-Verlag. 2022.
ISBN: 978-3-643-91136-0
Text auf Portugiesisch:
https://www.rainergrajek.info/mauritania/
Text auf Englisch:
https://www.rainergrajek.net/mauritania/
Letzte Aktualisierung: 8. Februar 2022